Mittwoch, 24. Oktober 2018

Uni - Patchwork-Identität

Ich sitze in einem mittelgut besuchten Seminar in den Bildungswissenschaften. Es ist die dritte Sitzung und im weiteren Verlauf sollen Referatsgruppen gebildet werden. Die motivierte junge Seminarleiterin möchte darum vorher eine kleine Übung mit uns durchführen, die Patchwork-Identität heißt und uns helfen soll, uns ein wneig kennenzulernen und zusammen zu finden.

Wie das geht:
Jeder von uns bekommt ein weißes DIN-A4-Blatt, das wir mit einer Schere in Puzzleteile schnippeln sollen. Auf diese sollen wir nun etwas schreiben, was einen "Ich bin..."-Satz vervollständigt. Dann wird sie uns in Gruppen einteilen, und zusammen sollen wir dann aus unseren Zetteln eine Art Gruppenidentität basteln und auf ein Plakat kleben.

Noch während ich mein Blatt in sechs relativ große Einzelteile zerschneide, macht sich Skepsis in mir breit. Um mich herum bekrizzeln die Kommiliton_innen fleißig ihre Zettel. Ich starre auf die weißen Schnipsel und spiele mit dem Stift. Und denke nach.

Ich bin...
...transgender.
...queer.
...ace.

Viel zu intim, zu privat, zu persönlich. Für diese Art Informationen vertraue ich meinen Kommiliton_innen nun wirklich nicht annähernd genug.

Ich bin...
...Pokémon-Trainer.
...Potter-LARPer.
...Nerd.

Super Ideen, die werden bestimmt viel Zustimmung bei meiner Gruppe finden.
Wenig zufrieden schreibe ich "Student_in" auf den ersten Zettel. Damit wird sich natürlich jeder im Raum identifizieren können. Die Versuchung, mich hinter einem scheinbar generischem Maskulinum zu verstecken, ist groß, aber ich möchte, dass sich mit diesem Zettel alle angesprochen fühlen können. Viel weiter bringt mich das allerdings auch nicht.
"Sind Sie fertig?" fragt die Seminarleiterin, sieht wohl meinen etwas verzeifelten Blick, und gibt uns noch Zeit.

Ich bin...
...Twitterer.
...Tumblr-User.
...Fanfic-Autor.

Alles Dinge, über die ich mich identifiziere, und nichts, was zu einer allgemein anerkannten Gruppenidentität führen wird. Und genau genommen möchte ich diese Dinge vielleicht auch gar nicht mit fremden Menschen teilen. Ich denke an ein japanisches Sprichtwort:

出る釘は打たれる。
Deru kugi wa utareru.
"Der herausstehende Nagel wird eingeschlagen."

Die Übung soll dazu dienen, Gemeinsamkeiten zu finden, aber wie die Seminarleiterin zuvor in einem anderen Kontext selbst gesagt hat: wenn wir Gemeinsamkeiten zwischen bestimmten Dingen feststellen, attestieren wir anderen automatisch ihre Andersartigkeit. Sicher mag die Übung irgendwie dazu führen, (oberflächliche) Gemeinsamkeiten zu finden, aber mit Ausblick auf das erstellen einer Gruppenidentität führt es für mich zu dem Druck, Dinge an mir zu finden, die möglichst massenkompatibel sind. Womit steche ich nicht (unangenehm) heraus, was könnte ich mit anderen gemeinsam haben?

Und da fällt mir anscheinend nicht viel ein. Am Ende schreibe ich eilig meine Zettel voll:
Student_in, Kölner_in, Atheist_in, Künstler_in, Quidditch-Spieler_in, LARPer_in...
Wäre ich generischer geblieben, mir wäre einfach gar nichts eingefallen.

Wir werden eingeteilt und bauen unser Gruppenidentitätsplakat. Den/die Student_in bringe ich unter, die anderen haben Zettel wie "kritisch-hinterfragend", "faul" und "zielstrebig", die wir alle aufnehmen. Auch eine Ecke mit "Reisender", "sprachinteressiert" und "unternehmungslustig" wird aufgemacht; den "Sommer-Fan" toleriere ich, auch wenn ich den Sommer hasse. Mein "Quidditch-Spieler" sorgt für ein kurzes Gespräch, findet aber natürlich nicht den Weg in unsere Gruppenidentität.
Ich kann trotzdem gut mit den anderen zusammen arbeiten. Die Stimmung in der Gruppe ist locker, angenehm,wir sind produktiv, ohne verkrampft zu sein. Dass ich mit diesen Menschen nichts gemeinsam habe, heißt nicht, dass es zu Konfrontationen kommt.
Wir schauen uns unsere Gruppe an. "Wer würde in unserer Gruppe ausgeschlossen werden, was meint ihr?" fragt ein Kommilitone, "Wen würden wir mobben?" Er sagt es lustig, humovoll. Ich sehe auf meine Zettel, die bis auf den ersten noch neben dem Plaket liegen. Alle anderen haben jeweils mindestens zwei beigesteuert, oft noch mehr. Ich finde die Frage nicht lustig.

Wirklich wichtig ist mir das alles nicht. Aber ich bin ja auch kein Schüler in einer Klasse, für den diese Gruppe einen zentralen Punkt seines Lebens ausmacht. Aber ich war dieser Schüler und ich weiß nicht, wie hilfreich ich diese Methode dabei finde, eine Klassengemeinschaft, in der es Probleme gibt, besser zusammen zu bringen.

Am Ende werden die Referatsthemen vergeben. Ich halte meins über Inklusion. Allein.
Was gut ist, weniger lästige Absprachen. Aber irgendwie ein bezeichnender Abschluss für diese Sitzung.

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